- Vereinigte Staaten von Amerika: Außenpolitik im Zeichen des Imperialismus
- Vereinigte Staaten von Amerika: Außenpolitik im Zeichen des ImperialismusNach dem Bürgerkrieg verlor die amerikanische Außenpolitik viel von dem expansiven Schwung, den ihr die Ideologie der Manifest Destiny verliehen hatte. Der Kauf Alaskas von Russland 1867 stellte zwar einen enormen territorialen Zuwachs dar, doch nur wenige Amerikaner machten sich eine Vorstellung vom unermesslichen Reichtum an Bodenschätzen und von der strategischen Bedeutung dieses Gebiets. Die letzten Hoffungen auf einen Beitritt Kanadas zur Union zerschlugen sich durch die Gründung des britischen Dominions Kanada, und Stimmen, die für Gebietserwerbungen in der Karibik und im pazifischen Raum plädierten, fanden zunächst wenig Gehör. Die amerikanische Marine war veraltet, und die Hauptaufgabe der 25000 Mann starken Armee bestand in der Bekämpfung der Indianer westlich des Mississippi. Erst gegen Ende des Jahrhunderts, als die Wunden des Bürgerkriegs zu verheilen begannen, traten die USA in den Wettbewerb mit den imperialistischen Staaten ein. Der Sieg über Spanien 1898 markierte den Aufstieg zur Großmacht und eröffnete die Möglichkeit, nicht nur weiter in den Pazifik vorzudringen, wo schon seit Ende der 1860er-Jahre Stützpunkte bestanden, sondern auch in der Karibik Fuß zu fassen. Traditionelles Sendungsbewusstsein und Missionierungsdrang erfassten nun eine breite Öffentlichkeit und fanden ein weltweites Betätigungsfeld. Dagegen hatten diejenigen Amerikaner einen schweren Stand, die sich auf die antikoloniale, revolutionäre Tradition ihres Landes beriefen. Im Innern war der neue Expansionsschub von einer breiten Reformbewegung begleitet, dem Progressivismus, dessen Anhänger die unerwünschten Begleiterscheinungen der Industrialisierung bekämpften und die Gesellschaft gerechter und leistungsfähiger gestalten wollten.Der Eintritt der USA in die WeltpolitikDie wirtschaftliche Depression der 1890er-Jahre führten viele Amerikaner auf Überproduktion und eine Sättigung des Binnenmarkts zurück, die nur durch steigende Exporte ausgeglichen werden konnten. Da sich die europäischen Mächte — wie die USA selbst — mit hohen Zollmauern umgeben hatten und ihren Kolonialbesitz unablässig ausbauten, schienen die ökonomische Zukunft und der gesellschaftliche Frieden der USA gefährdet zu sein. In dieser Situation fanden die Überlegungen Admiral AlfredT. Mahans öffentliche Beachtung: In seinem 1890 erschienenen Werk »Der Einfluss der Seemacht auf die Geschichte« hatte er gefordert, die Amerikaner sollten die Weltmeere nicht länger als Barrieren, sondern als Verkehrsadern betrachten, deren Kontrolle das Schicksal der Völker entscheiden werde. In Mahans geostrategischer Vision fügten sich der Flottenbau, ein transozeanischer Kanal durch Zentralamerika, die Annexion Hawaiis und die Gewinnung weiterer Stützpunkte im Pazifik zu einem schlüssigen Konzept zusammen. Dieser Ansatz übte eine starke Faszination auf die »junge Garde« der politischen Führung aus, zu der Theodore Roosevelt, Henry C. Lodge und Elihu Root gehörten. Mit dem Bau gepanzerter Schlachtschiffe, der den Stahlkonzernen lukrative Aufträge bescherte, begann in den 1890er-Jahren das Zweckbündnis zwischen Politikern, Militärs und Unternehmern, das im Laufe der Zeit immer wichtiger werden sollte.Ein neuer, aggressiverer Nationalismus ergänzte die wirtschaftliche Stärke der USA. Er äußerte sich im Kult um das Sternenbanner, in Paraden der Veteranenverbände und im Chauvinismus der Massenpresse. Wissenschaftler und Journalisten trugen dazu bei, das Sendungsbewusstsein der Manifest Destiny wieder zu beleben, indem sie die Überlegenheit einer »angelsächsischen Rasse« propagierten, die berufen sei, andere Völker politisch zu »erziehen«. Der Anglo- Saxonism der Eliten erleichterte auch das politische Arrangement mit Großbritannien, das sich nach einigen Konflikten mit der Vorrangstellung der USA in der westlichen Hemisphäre abfand.Der Durchbruch zur Großmachtstellung gelang 1898 im Krieg gegen Spanien, der durch das Geschehen auf Kuba ausgelöst wurde. Die Unabhängigkeitsbewegung der Kreolen gegen das »spanische Joch« war zwar von amerikanischer Seite gefördert worden, aber die Regierung in Washington arbeitete keineswegs bewusst auf einen Krieg hin. Angesichts der harten spanischen Repressionsmaßnahmen gegen die »Freiheitskämpfer« machte sich in der amerikanischen Öffentlichkeit jedoch eine heftige antispanische Stimmung breit. Als der amerikanische Kreuzer »Maine« am 15. Februar 1898 im Hafen von Havanna nach einer schweren Explosion mit 260 Matrosen an Bord sank, brach eine regelrechte Kriegshysterie aus. Gestützt auf einen Untersuchungsbericht, der die Katastrophe auf einen Bombenanschlag zurückführte — nach neueren Erkenntnissen handelte es sich um einen Unfall —, begannen Präsident William McKinley und seine Berater, den Konflikt zu eskalieren. Die spanische Regierung zeigte sich verhandlungsbereit, lehnte aber die ultimative Forderung, Kuba die Unabhängigkeit zu gewähren, ab. Daraufhin ermächtigte der Kongress McKinley am 11. April zur Anwendung von Gewalt, bestritt jedoch jegliche Absicht, Kuba annektieren zu wollen. Anschließend trafen die USA militärische Vorbereitungen, überließen es aber den Spaniern, am 24. April 1898 formell den Krieg zu erklären.Amerikanischer Sieg und FriedensschlussAls entscheidend für den Ausgang des »splendid little war« (großartigen kleinen Kriegs), so Außenminister John Hay, erwies sich die Überlegenheit der amerikanischen Marine, die den ersten Schlag überraschend gegen die spanischen Philippinen führte. Eine von Kommodore George Dewey befehligte Schwadron vernichtete am 1. Mai 1898 in der Bucht von Manila die spanische Pazifikflotte. In der Karibik blockierten die Amerikaner die spanischen Häfen und versenkten am 3. Juli vor Santiago de Cuba sämtliche Schiffe der spanischen Flotte, die die Blockade zu durchbrechen versuchte. Der Regierung in Madrid blieb keine andere Wahl, als um Waffenstillstand zu ersuchen und die amerikanischen Bedingungen zu akzeptieren. Im Pariser Frieden vom Dezember 1898 bestätigte sie die Unabhängigkeit Kubas, das vorerst unter amerikanischer Besatzung blieb, und trat Puerto Rico, die Philippinen und Guam an die USA ab. Unabhängig davon sicherten sich die USA auch noch die Inseln Wake und Hawaii, die mit dem Hafen Pearl Harbor als »Sprungbrett« nach Asien galten. Weiße Zuckerrohrpflanzer hatten zuvor die hawaiianische Königin abgesetzt und die Republik ausgerufen. 1900 wurde Hawaii als Territorium organisiert und erhielt einen ähnlichen halbkolonialen Status wie Puerto Rico.Als der Friedensvertrag mit Spanien bekannt wurde, sammelten sich die Gegner der Expansion in der Anti-Imperialist League und entfesselten eine große öffentliche Debatte. Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen die Inbesitznahme der Philippinen, mit der die Amerikaner ihrer eigenen antikolonialen Tradition untreu wurden und das Selbstbestimmungsprinzip verletzten. Sprecher der Bewegung wie Carl Schurz und Andrew Carnegie behaupteten, die USA könnten ihren politischen Einfluss und ihren Handel auch ohne formelle Gebietserwerbungen weiter ausdehnen. Die Gewerkschaften fürchteten die »Einfuhr« billiger Arbeitskräfte aus den Kolonien, und der Führer der Afroamerikaner, Booker T. Washington, sah eine Verschärfung des internen Rassenkonflikts voraus. In die Ablehnungsfront reihten sich allerdings auch Rassisten ein, aus deren Sicht Kolonialbesitz die »Reinheit der angelsächsischen Rasse« gefährdete. Im Kongress konnten sich die Antiimperialisten nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, sodass der Senat den Friedensvertrag im Frühjahr 1899 mit knapper Mehrheit ratifizierte. Ein Aufstand philippinischer Nationalisten wurde von den amerikanischen Besatzungstruppen hart unterdrückt und kostete bis 1901 über 4000 US-Soldaten und etwa 20000 Filipinos das Leben.McKinley interpretierte seine überzeugende Wiederwahl im November 1900 als Bestätigung der expansionistischen Außenpolitik. Maßgeblichen Anteil an dem Erfolg hatte der Vizepräsidentschaftskandidat Theodore Roosevelt, der durch seine militärischen Verdienste auf Kuba populär geworden war. Als McKinley knapp ein Jahr später beim Besuch der Panamerikanischen Ausstellung in Buffalo von einem Anarchisten ermordet wurde, rückte der erst 42- jährige Roosevelt ins Präsidentenamt auf. Er setzte sich zur Aufgabe, die Macht der USA zu konsolidieren und weiter auszubauen.Außenpolitik in der »Ära Roosevelt«Theodore Roosevelt entstammte einer angesehenen niederländisch-amerikanischen Familie im New Yorker Hudsontal. Besser als die meisten seiner Vorgänger im Weißen Haus erkannte er, welche Möglichkeiten die Außenpolitik dem Präsidenten bot, seinen Einfluss und sein Ansehen zu steigern. Er sah sich als Repräsentant einer neuen Mittelschicht, die er dafür berufen hielt, das »amerikanische Experiment« gegen die Gefahren von außen wie gegen die Monopolbestrebungen der Wirtschaft im Innern zu verteidigen.»Hinterhof« LateinamerikaIm Einklang mit Mahans Überlegungen machte Roosevelt den Panamakanal zum Kernstück seiner Außenpolitik. Als die kolumbianische Regierung ihre finanziellen Forderungen für die Kanalbaurechte in die Höhe schraubte, forcierte er 1903 ohne Rücksicht auf das Völkerrecht die Loslösung Panamas. Der neue Staat trat eine 32 km breite Kanalzone an die USA ab, für die Washington einmalig 10 Millionen Dollar und ein jährliches Entgelt von 250000 Dollar zahlte, und die Roosevelt militärisch sichern ließ. Nach neun Jahren Bauzeit wurde der fast 82 km lange Kanal 1914, fast zeitgleich mit dem Kriegsausbruch in Europa, fertig gestellt und von Präsident Woodrow Wilson feierlich eingeweiht. Er verkürzte den Seeweg von der Ost- zur Westküste der USA um 8000 Seemeilen; das brachte nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem strategische Vorteile, da Kriegsschiffe jetzt innerhalb weniger Tage vom Atlantik in den Pazifik und umgekehrt verlegt werden konnten.Der Panamakanal machte die Karibik im Verständnis vieler Amerikaner endgültig zum »Hinterhof« der USA. Ökonomische Durchdringung und politische Einflussnahme gingen hier Hand in Hand, und die Hemmschwelle für militärische Zwangsmaßnahmen begann zu sinken. Das bekamen als Erste die Kubaner zu spüren, deren Souveränität durch die Verfassung von 1901 erheblich eingeschränkt worden war. So bedurften völkerrechtliche Verträge der Genehmigung durch den amerikanischen Kongress, und die USA, die sich den Stützpunkt Guantanamo gesichert hatten, konnten militärisch eingreifen, sobald sie die territoriale Integrität oder die politische Ordnung der Insel für gefährdet erachteten. Faktisch errichteten die USA also ein Protektorat über die Insel, das vor allem den Interessen amerikanischer Landbesitzer und Unternehmer diente. Widerstand kubanischer Nationalisten beantwortete Washington in der Folgezeit mehrfach mit militärischen Interventionen. Roosevelt versuchte derartige Zwangsmaßnahmen 1904 mit einer »Ergänzung« (corollary) zur Monroedoktrin zu rechtfertigen. Sie warnte die lateinamerikanischen Regierungen davor, durch eigenes Fehlverhalten Situationen heraufzubeschwören, die europäische Mächte zum Eingreifen veranlassen könnten. In solchen Fällen würden sich die USA gezwungen sehen, die Aufgaben einer »internationalen Polizeimacht« auszuüben und für Ordnung, Stabilität und Sicherheit zu sorgen. Die praktische Anwendung folgte auf dem Fuße, als die USA 1905 die Finanzverwaltung der bankrotten Dominikanischen Republik übernahmen. Die eigentlichen Adressaten der Roosevelt Corollary waren jedoch die Europäer, besonders die Deutschen, die man davon abhalten wollte, ihre militärische Präsenz in der westlichen Hemisphäre weiter auszubauen.Die USA übten diese reklamierte »Polizistenrolle« bis in die 1920er-Jahre hinein wiederholt aus. Roosevelts Nachfolger WilliamH. Taft verlegte sich stärker auf die »Dollardiplomatie«, die eine Zusammenarbeit zwischen US-Regierung und im Ausland tätigen amerikanischen Konzernen einschloss. Präsident Wilsons Außenminister William J. Bryan setzte seine Hoffnungen vor allem auf die panamerikanische Bewegung sowie auf die Möglichkeiten friedlicher Konfliktregelung, zum Beispiel die Schiedsgerichtsbarkeit. Die Demokraten Bryan und Wilson waren indes nicht minder vom zivilisatorischen Auftrag der USA überzeugt als die Republikaner Roosevelt und Taft. Wilson sprach sogar von der Notwendigkeit, die Nachbarnationen zur Selbstregierung »anzuleiten« und ihnen den Respekt vor dem Gesetz beizubringen.Es ist kaum möglich, die einzelnen Motive der US-Politik sauber auseinander zu halten. Die Verantwortlichen wollten stets die »nationalen Interessen« wahren, wobei militärische Sicherheitsüberlegungen, wirtschaftliche Profitgesichtspunkte und bestimmte Vorstellungen von politischer Entwicklung und sozialem Fortschritt ineinander griffen. Die US-Amerikaner sahen sich nicht als koloniale Ausbeuter, sondern als Freunde und Beschützer, die die Segnungen der Zivilisation brachten: Sie verbesserten die Infrastruktur, bauten das Bildungs- und Gesundheitswesen aus, reorganisierten die Finanzverwaltungen und drängten auf demokratische Wahlen. Als zweischneidiges Schwert erwies sich die Ausbildung von Polizei- und Militärverbänden, die oft zu Unterdrückungsinstrumenten diktatorischer Regime degenerierten. Die Versäumnisse und Fehler der gesellschaftlichen Eliten Lateinamerikas trugen erheblich dazu bei, dass die USA einen derart starken Einfluss ausüben konnten. Mit zunehmendem Nationalbewusstsein in Lateinamerika wuchs auch die Proteststimmung gegen die »überheblichen Yankees«, wodurch politische und kulturelle Spannungen mit den USA entstanden, die nie mehr ganz abgebaut werden konnten.Engagement in Asien, diplomatisches Debüt in EuropaDer zweite Schwerpunkt der Außenpolitik lag in Südostasien, wo die Amerikaner Gefahr liefen, bei der Aufteilung Chinas in koloniale Interessensphären an den Rand gedrängt zu werden. Nachdem sie auf den Philippinen und Hawaii Fuß gefasst hatten, konnten sie ihre Interessen in Asien mit größerem Nachdruck vertreten. In zwei Noten von 1899 und 1900 warnte Außenminister John M. Hay davor, die territoriale Integrität Chinas zu zerstören, und forderte die chinesische Regierung auf, allen Nationen gleichberechtigte Handelsmöglichkeiten zu gewähren. Dieses Prinzip der »offenen Tür« betrachteten Europäer, Russen und Japaner als Verschleierung amerikanischer Monopolbestrebungen. Die antikolonialistische Position der USA kam zunächst nicht zum Tragen: 1900 beteiligten sie sich an der Niederschlagung des nationalistischen Boxeraufstands.Nach der Jahrhundertwende stiegen die Japaner zum härtesten Konkurrenten der USA in Asien auf. Nach Japans Sieg im Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 vermittelte Präsident Roosevelt in Portsmouth, New Hampshire, einen Frieden zwischen Japan und Russland in der Absicht, das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Mächten möglichst zu erhalten. Sein Engagement trug ihm 1906 den Friedensnobelpreis ein, hinderte die Japaner aber nicht daran, ihre Machtposition auf dem chinesischen Festland weiter auszubauen. Wegen der exponierten Lage der Philippinen sah sich Roosevelt zu einem politischen Arrangement mit Tokio gezwungen: Für die japanische Zusage, die amerikanischen Besitzungen in Asien zu respektieren, erkannten die USA die Hegemonie Japans über Korea und die Interessen der Japaner in der Mandschurei an. Ein dauerhafter Ausgleich gelang jedoch nicht, da die Zielvorstellungen unterschiedlich blieben und kulturelle Faktoren die Beziehungen zusätzlich belasteten. Die Japaner betrachteten die Amerikaner als Störenfriede in Asien; außerdem empörte sie die rassische Diskriminierung ihrer Landsleute auf Hawaii und in Kalifornien. Als die Schulbehörden von San Francisco 1906 gesonderte Schulen für asiatische Kinder einführen wollten, konnte ein Bruch zwischen Tokio und Washington nur mit Mühe verhindert werden. Die Amerikaner wiederum misstrauten den japanischen Absichten in China und unterstützten ab 1911 die nationalchinesischen Kräfte gegen die Japaner. Auf diese Weise wurden sie immer tiefer in die Intrigen und Händel der asiatischen Politik hineingezogen.In der Alten Welt traten Emissäre aus Washington erstmals in der 1. Marokkokrise als Vermittler auf. Während sich die deutsche Regierung, die auf Roosevelts Unterstützung gehofft hatte, vom Ergebnis der Konferenz von Algeciras 1906 enttäuscht zeigte, verbesserten sich die amerikanisch-französischen Beziehungen. Die Amerikaner entzogen sich auch weiterhin dem Freundschaftswerben des deutschen Kaisers, da sie weder in Europa noch in Asien in eine Frontstellung gegen das mit Japan verbündete Großbritannien geraten wollten.Am Vorabend des Ersten Weltkriegs hatte ein American Empire Konturen gewonnen, das sich durch ein weltweites System abgestufter Einflussmöglichkeiten auszeichnete: Neben der einzigen »echten« Kolonie, den Philippinen, gehörten hierzu die Territorien Puerto Rico und Hawaii mit US-Gouverneuren, Flottenstützpunkte wie auf den Samoa-Inseln, Guam und den Midway-Inseln, inoffizielle Protektorate, in denen der US-Botschafter wie ein Statthalter residierte, zum Beispiel Kuba und Panama, und Staaten, deren Politik weitgehend von US-Konzernen kontrolliert wurde, etwa Costa Rica und Honduras von der United Fruit Company. In der westlichen Hemisphäre übten die USA bereits eine Hegemonie aus, und in Europa und Südostasien machte sich ihr Gewicht allmählich stärker bemerkbar.Der Eintritt der USA in den Ersten WeltkriegAnimositäten zwischen Roosevelt und Taft, die das republikanische Lager im Wahlkampf von 1912 spalteten, verhalfen dem demokratischen Gouverneur von New Jersey, Woodrow Wilson, zum Einzug ins Weiße Haus. Der gebürtige Virginier verband die moralische Strenge seiner presbyterianischen Erziehung mit wissenschaftlicher Disziplin, und er war trotz des äußerlich steifen, unnahbaren Auftretens ein mitreißender Redner: Im Stile eines Predigers benutzte er häufig religiöse Bilder, die eine baldige Erfüllung der in Unabhängigkeitserklärung und Verfassung enthaltenen demokratischen Prinzipien verhießen.Während seiner ersten Amtszeit löste Wilson etliche Reformversprechen ein, so zum Beispiel eine Antitrustgesetzgebung, Zollsenkungen und die Einführung der Einkommensteuer. Im Schatten des Kriegs ging diese progressive Ära jedoch allmählich zu Ende. Der Präsident setzte nun auf eine enge Zusammenarbeit von Regierung und Wirtschaft, um die amerikanischen Interessen gegenüber den Krieg führenden Mächten wirkungsvoll verteidigen zu können. Mit der 1914 proklamierten Neutralität stellte sich Wilson in die außenpolitische Tradition seit George Washington und trug zugleich der Sorge Rechnung, die amerikanische Einwanderergesellschaft könne andernfalls einer Zerreißprobe ausgesetzt werden.Gefühlsmäßig stand Wilson den Westmächten näher als dem Deutschen Reich, das aus seiner Sicht Autokratie und Militarismus verkörperte. Hinzu kam, dass Großbritannien nach Kriegsbeginn im großen Stil Lebensmittel, Waffen und Munition in den USA einkaufte. Diese Geschäfte wurden größtenteils durch private amerikanische Bankkredite finanziert, die sich bis 1917 schon auf 2,3 Milliarden Dollar beliefen. Allein im Jahr 1916 exportierte die amerikanische Wirtschaft Rohstoffe und Waren im Wert von 2,75 Milliarden Dollar nach Großbritannien und Frankreich. Demgegenüber ging die Höhe der Ausfuhren nach Deutschland auf 29 Millionen Dollar zurück.Wilson wusste jedoch, dass die große Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung nicht in den Kampf der »imperialistischen« Mächte hineingezogen werden wollte. Deshalb verurteilte er nicht nur die deutsche U-Boot-Kriegführung, sondern legte auch gegen völkerrechtswidrige britische Blockadepraktiken Protest ein. Parallel dazu ließ er durch seinen Vertrauten, Colonel EdwardM. House, in Europa die Chancen für einen Kompromissfrieden ausloten. Diese unparteiische Haltung geriet ins Wanken, als ein deutsches U-Boot im Mai 1915 den britischen Luxusdampfer »Lusitania« auf dem Rückweg von New York vor der irischen Küste versenkte und den Tod von fast 1200 Menschen, darunter 128 Amerikaner, verursachte. Als sich die Reichsregierung jedoch entschuldigte und — vorübergehend — den uneingeschränkten U-Boot-Krieg einstellte, schienen sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder zu stabilisieren. Um dieselbe Zeit trübte sich das Verhältnis der USA zu London und Paris, da die beiden Regierungen wirtschaftliche Kriegsziele formulierten, die mit dem amerikanischen Verlangen nach freiem Welthandel unvereinbar waren.Alle diese Ereignisse wurden in den USA von einer heftigen Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern eines Kriegseintritts begleitet. Der Friedensbewegung schlossen sich neben Pazifisten und Quäkern auch progressive Reformer, Sozialisten, Frauenrechtlerinnen und sogar einige Großindustrielle wie Andrew Carnegie und Henry Ford an. Diesen Kräften stellten sich, angeführt von Theodore Roosevelt, die »Interventionisten« entgegen, die das Deutsche Reich als Hauptstörenfried brandmarkten. Im Wahlkampf von 1916 versprach Präsident Wilson, die USA aus dem Krieg herauszuhalten, verlangte aber, dass sich die Nation auf alle Eventualitäten vorbereiten müsse. Der Kongress schuf die gesetzlichen Grundlagen für eine Aufrüstung, mit der die USA unabhängig vom Kriegsausgang ihre Machtposition sichern konnten. Neu im Wahlprogramm der Demokraten war der Vorschlag eines Völkerbunds, der künftige Kriege verhindern sollte. Nach seiner knappen Wiederwahl warb Wilson Ende 1916 erneut für einen »Frieden ohne Sieg«.Ein »Kreuzzug für die Demokratie«In Berlin setzten sich nun jedoch diejenigen Politiker und Militärs durch, die glaubten, Großbritannien in die Knie zwingen zu können, bevor die USA wirksam eingreifen konnten. Nach der Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs brach Präsident Wilson Anfang Februar 1917 die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich ab. Angesichts mächtiger Friedensdemonstrationen, an denen sogar sein ehemaliger Außenminister Bryan teilnahm, scheute er aber immer noch vor dem Kriegseintritt zurück. Der endgültige Stimmungsumschwung trat dann durch die Veröffentlichung eines Telegramms ein, das der deutsche Staatssekretär des Äußeren, Arthur Zimmermann, am 19. Januar 1917 an die Botschaft in Mexiko City geschickt hatte. Darin schlug er ein Bündnis mit Mexiko vor, in das auch Japan einbezogen werden sollte. Im Falle eines deutschen Siegs würde das Reich Mexiko helfen, die 1848 verlorenen Gebiete in Texas, New Mexico und Arizona zurückzubekommen. Der britische Geheimdienst konnte den Text entschlüsseln und leitete ihn an Wilson weiter, der am 1. März die Öffentlichkeit informierte. Die allgemeine Empörung steigerte sich noch, als deutsche U-Boote amerikanische Schiffe versenkten. Am 2. April forderte Wilson den Kongress auf, dem Deutschen Reich den Krieg zu erklären: Die USA würden nicht für Eroberungen kämpfen, sondern für Frieden und Gerechtigkeit. Die Kriegserklärung erfolgte am 6. April gegen sechs Stimmen im Senat und 50 Stimmen im Repräsentantenhaus.Wilson begründete seine Entscheidung mit deutschen Rechtsbrüchen, die den amerikanischen Handel und die nationale Sicherheit bedrohten. Indem er den Krieg zum »Kreuzzug für die Demokratie« und zum »Krieg, der alle Kriege beenden soll« erklärte, rechtfertigte er ihn zudem moralisch. Pragmatisches Gleichgewichtsdenken mischte sich mit einem idealistischen, letztlich religiös inspirierten Bekenntnis zu höheren Werten und Prinzipien. Wilson und seine engsten Berater waren zunehmend zu der Überzeugung gelangt, dass ein deutscher Sieg unbedingt verhindert werden müsse und dass die USA nur im Falle einer aktiven Beteiligung am Krieg die künftige Friedensordnung würden mitprägen können. Ohne die Fehlkalkulationen und diplomatischen Missgriffe der deutschen Führung wäre es Wilson jedoch sehr viel schwerer gefallen, die Bevölkerung und den Kongress von der Notwendigkeit der Kriegserklärung zu überzeugen.Prof. Dr. Jürgen HeidekingWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Vereinigte Staaten von Amerika: USA nach dem Ersten WeltkriegGrundlegende Informationen finden Sie unter:Vereinigte Staaten von Amerika: 1865 bis 1917
Universal-Lexikon. 2012.